Perşembe, Ekim 9, 2025
Ana SayfaYayınlarYorumDoppelmoral und Selbstzerstörung

Doppelmoral und Selbstzerstörung

Der Ausbruch des Ukraine-Kriegs und Israels Angriffe auf Gaza zeigt die Doppelmoral des Westens und beweist, dass das von ihm geschaffene System samt internationaler Organisationen als Werkzeug seiner Interessen und Machtkämpfe entworfen wurde.

Seit dem 7. Oktober 2023 führt Israel einen beispiellosen, systematischen Angriff gegen die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Zehntausende Tote, zerstörte Städte, gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, Schulen und Flüchtlingslager – all das verdeutlicht die Brutalität dieser Offensive. Israels Gewalt beschränkt sich jedoch nicht nur auf Gaza. In den vergangenen Monaten griff die israelische Armee Ziele in mehreren Ländern der Region an – im Libanon, in Syrien, im Irak, in Katar, in Tunesien und im Jemen.

Doch die Tragweite dieser Entwicklung geht weit über den Nahen Osten hinaus. Israels Angriffspolitik und die von westlichen Staaten tolerierten, ja sogar verteidigten Kriegsverbrechen haben das internationale System in seinen Grundfesten erschüttert. Das, was nach dem Zweiten Weltkrieg unter Führung der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs – faktisch ergänzt um Deutschland als „+1“ – als multilateraler Ordnungsrahmen etabliert wurde, verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit. Israels Vorgehen hat nicht nur Menschenleben gekostet, sondern auch die moralische und rechtliche Substanz jener Ordnung ausgehöhlt, die auf universelle Prinzipien und Menschenrechte gegründet sein sollte. Mit anderen Worten: Israel hat mit seiner Aggression nicht nur seine Nachbarn, sondern auch den Westen und seine Institutionen in eine tiefe moralische Krise gestürzt – und eine Erosion ausgelöst, die die Normen des Systems von innen heraus entleert.

Parallel dazu wird dieses System durch einen weiteren Krieg herausgefordert: den russischen Angriff auf die Ukraine. Hier zeigte sich, wie entschlossen die westlichen Mächte – allen voran die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie die Europäische Union – internationale Organisationen und rechtliche Institutionen mobilisierten, um Russland zu isolieren und zu bestrafen. Der Internationale Strafgerichtshof erließ im März 2023 einen Haftbefehl gegen Präsident Putin, unter anderem wegen der Deportation ukrainischer Kinder; Russland wies dies als „provokativ“ und „rechtlich bedeutungslos“ zurück.

Doch der Westen beließ es nicht bei juristischen Schritten: Die USA und die EU verhängten umfassende Wirtschaftssanktionen, froren russische Vermögenswerte ein, stoppten Energie- und Technologieexporte und schlossen Banken vom internationalen Zahlungsverkehr aus. Auch kulturelle und sportliche Organisationen zogen Konsequenzen – UEFA und FIFA suspendierten russische Teams aus sämtlichen Wettbewerben, der Eurovision Song Contest verbannte russische Beiträge. Mit anderen Worten: Der Westen nutzte sämtliche ihm zur Verfügung stehenden politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Hebel, um Russland auf jeder Ebene unter Druck zu setzen.

Doch nun steht der Westen vor einem Dilemma: Würden die gleichen Instrumente – UN, ICC, internationale Gerichte, Sanktionen – auch gegenüber Israel angewendet, wenn die Vorwürfe stimmen? Anders ausgedrückt: Ist der Westen bereit, das internationale System, das er über Jahrzehnte kultivierte, zu „verbiegen“, um Israel zu schützen? In diesem Beitrag werde ich diese Frage entlang der Fälle Israel/Palästina und Russland/Ukraine beleuchten – und prüfen, ob das vermeintlich universelle Regelwerk in Wahrheit selektiv gehandhabt wird.

Die Architektur der Nachkriegsordnung: Macht, Moral und Doppelmoral

Internationale Organisationen sind ein zentrales Produkt der Nachkriegsordnung – geschaffen, um Frieden, Stabilität und Kooperation zwischen Staaten zu fördern. Von den Vereinten Nationen über den Internationalen Strafgerichtshof bis hin zu wirtschaftlichen Zusammenschlüssen wie der Europäischen Union verkörpern sie den Anspruch, globale Konflikte durch Regeln und Institutionen zu zivilisieren. Doch was genau leisten diese Organisationen – und wem dienen sie tatsächlich?

Liberale Denkschulen betrachten internationale Organisationen als Mittel, um die anarchische Struktur des internationalen Systems zu überwinden. Sie sollen Vertrauen schaffen, Verbindlichkeit sichern und Kooperation anstelle eines Nullsummenspiels ermöglichen – eine „Win-Win-Logik“. Realisten widersprechen: Für sie besitzen diese Institutionen weder eigenen Willen noch Autonomie, sondern dienen den Interessen jener Staaten, die sie geschaffen haben. Internationale Organisationen sind demnach keine moralischen Instanzen, sondern Werkzeuge im Machtkampf der Mächtigen.

Gerade deshalb sind internationale Organisationen kein neutrales Regelwerk, sondern integraler Bestandteil einer westlich dominierten Ordnung. Ihre Grenzen liegen dort, wo die Interessen der Mächtigen beginnen. Sie fördern Kooperation, solange diese den Status quo stützt – und sie schweigen, sobald Gerechtigkeit und Gleichheit die Machtbalance infrage stellen. Die Vorstellung einer unabhängigen, moralisch handelnden „Weltgemeinschaft“ bleibt daher, realistisch betrachtet, ein politischer Mythos.

Vergleich Russland vs. Israel: Wie selektiv ist die internationale Justiz?

Der erste konkrete Maßstab für einen möglichen Doppelstandard ist der Internationale Strafgerichtshof (ICC). Im Mai 2024 beantragte der ICC-Chefankläger Karim A. A. Khan Haftbefehle gegen Benjamin Netanyahu und Yoav Gallant wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza. In einem Interview mit CNN erklärte Khan, dass ihn westliche Politiker kontaktiert hätten – nicht, um die Strafverfolgung ihrer Verbündeten zu unterstützen, sondern um den Fokus auf Afrika und Lateinamerika zu lenken. „Wir haben diese Institutionen nicht geschaffen, damit sie unsere Freunde verhaften, sondern damit sie afrikanische Diktatoren zur Verantwortung ziehen“, sagte er sinngemäß. Diese Aussage warf ein grelles Licht auf die politische Instrumentalisierung internationaler Justiz. Tatsächlich richten sich die meisten Verfahren des ICC gegen politische Akteure aus dem globalen Süden – ein Muster, das die Behauptung einer universellen Rechtsordnung zunehmend fragwürdig erscheinen lässt.

Trotz der Haftbefehle und obwohl 125 Mitgliedstaaten des ICC – darunter auch Deutschland – verpflichtet wären, Netanyahu und Gallant im Falle einer Einreise festzunehmen, blieb eine Umsetzung aus. CSU-Vorsitzender Friedrich Merz erklärte am Wahlabend sogar, er würde sich freuen, Netanyahu in Deutschland willkommen zu heißen. Diese Haltung verdeutlicht den politischen Widerspruch: Während rechtlich ein Haftbefehl besteht, signalisiert die politische Elite Bereitschaft, diesen zu ignorieren.

Das ist umso bemerkenswerter, wenn man die Faktenlage betrachtet. Israel hat in Gaza eine weitaus höhere Zahl ziviler Opfer zu verantworten, seine Siedlungspolitik im besetzten Westjordanland wurde international als völkerrechtswidrig eingestuft, und zahlreiche renommierte Menschenrechtsorganisationen – darunter die israelischen Organisationen BTselem, Breaking the Silence, Yesh Din und HaMoked – haben Israels Vorgehen eindeutig als Genozid und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Auch die Vereinten Nationen kamen in den Ergebnissen ihrer Untersuchungskommission zu dem Schluss, dass Israel in Gaza einen Genozid begeht – und dies in systematischer, absichtlicher Form gegen die palästinensische Zivilbevölkerung. Die UN-Berichte dokumentieren gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, Schulen und Flüchtlingslager sowie die bewusste Blockade humanitärer Hilfe – allesamt Handlungen, die nach internationalem Recht die Kriterien eines Genozids erfüllen.

Der Gegensatz zu Russland könnte kaum größer sein. Nach dem Angriff auf die Ukraine reagierten westliche Staaten und Institutionen binnen Tagen mit massiven politischen, wirtschaftlichen und symbolischen Maßnahmen. Der ICC erließ rasch einen Haftbefehl gegen Präsident Putin; die USA und die EU verhängten umfassende Wirtschaftssanktionen, froren Vermögenswerte ein, stoppten Energie- und Technologieexporte und schlossen russische Banken vom internationalen Zahlungsverkehr aus. Auch kulturelle und sportliche Organisationen reagierten sofort: UEFA und FIFA suspendierten russische Teams aus allen Wettbewerben, Russland wurde vom Eurovision Song Contest ausgeschlossen.

Israel dagegen, obwohl ihm deutlich schwerere Verstöße gegen das Völkerrecht vorgeworfen werden, bleibt von vergleichbaren Konsequenzen verschont. FIFA-Präsident Gianni Infantino erklärte jüngst, die Organisation könne keine geopolitischen Probleme lösen – und ließ Israels Teilnahme unangetastet. Während Russland innerhalb weniger Tage isoliert wurde, bleibt Israel Teil desselben internationalen Systems, das sich einst auf universelle Normen und Werte berief.

Diese Diskrepanz lässt sich kaum mit rechtlichen Nuancen erklären. Sie verweist vielmehr auf eine politische Realität: Internationale Institutionen handeln nicht auf Basis universeller Prinzipien, sondern im Rahmen der Interessen der Mächtigen. Russland wurde bestraft, weil es der westlichen Ordnung widersprach. Israel wird geschützt, weil es zu ihr gehört.

Der Westen untergräbt seine eigene Ordnung

Dass die Aggressionen Russlands und Israels in denselben historischen Moment fielen, war – ironisch gesagt – eine große „Unglücksfälle“ für die westlichen Staaten. Auf der einen Seite mobilisierten sie internationale Organisationen, um Russland im Namen von Menschlichkeit, internationalem Recht, Demokratie und Gewissen zu verurteilen. Auf der anderen Seite sahen sie sich nur wenige Monate später mit Israels offenem Genozid in Gaza konfrontiert – begangen von einem ihrer engsten Verbündeten. Der Westen stand plötzlich vor einem Dilemma: Er konnte weder die Instrumentalisierung internationaler Institutionen im Kampf gegen Russland aufgeben noch seine politische und militärische Unterstützung für Israel zurückziehen. Damit zeigte sich auf eindrückliche Weise, dass die westlichen Staaten internationale Organisationen – ganz im Sinne der Realisten – als Instrumente ihres eigenen Machtkampfs und ihrer Interessen einsetzen.

Noch schwerer wog, dass die globale Öffentlichkeit – durch soziale Medien und unabhängige Medienkanäle etwa aus der Türkei oder Katar – die Gräueltaten Israels in Echtzeit verfolgte. Die westlichen Regierungen konnten das Geschehen nicht länger hinter einer kontrollierten Informationspolitik verbergen. Millionen Menschen, auch in westlichen Metropolen, gingen auf die Straßen und klagten die Doppelmoral ihrer eigenen Regierungen an. Damit wurde offensichtlich, was lange als unausgesprochen galt: Das internationale System, das nach 1945 im Namen universeller Werte geschaffen wurde, dient in Wahrheit der Aufrechterhaltung hegemonialer Interessen. Und so kämpfen die Menschen in Gaza – ob sie es wollen oder nicht – längst nicht mehr nur um ihr Überleben, sondern auch um die moralische Wiederherstellung einer Weltordnung, die der Westen selbst zerstört hat.

Dr. Ayhan Sarı, Türkiye Araştırmaları Vakfı araştırmacısıdır.
Bu yazı, ilk olarak 06.10.2025 tarihinde TRT World’de yayımlanmıştır.
Ayhan Sarı
Ayhan Sarı

Dr. Ayhan Sarı, Türk-Alman Üniversitesi Siyaset Bilimi ve Uluslararası İlişkiler Bölümü öğretim üyesidir. Lisans eğitimini 2015’te Yıldız Teknik Üniversitesi Siyaset Bilimi ve Uluslararası İlişkiler Bölümü’nde tamamladı. Yüksek lisans derecesini Sabancı Üniversitesi Siyaset Bilimi Bölümü’nden 2017’de aldı. Sarı, doktora derecesini Freie Üniversitesi Berlin Siyaset Bilimi Bölümü’nde “How Ethnic Conflict Changes Ethnic Identity: The Case of Syrian Civil War’’ başlıklı tez çalışmasıyla 2022’de almaya hak kazandı. Çalışma alanları arasında çatışma çözümleri, konstrüktivizm, etnik savaşlar, Suriye ve nitel araştırma yöntemleri bulunmaktadır. Türkiye Araştırmaları Vakfı’nda araştırmacı olarak çalışmaktadır.
E-posta: asari@www.turkiyearastirmalari.org

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